Ich war in Tallinn!
Letzte Woche hatte ich mein verspätetes MidTerm-Seminar in der Nähe von Tallinn und da ich eine Woche zuvor an einem Sonntag vorgearbeitet hatte, nahm ich mir den Freitag vor dem Seminar, das am Montag begann, frei, um ein verlängertes Wochenende in Tallinn vorzulagern - in einer Stadt, die ich zu lieben gelernt habe.
Wo soll ich also anfangen?
Vielleicht bei meiner neuen "Fähigkeit", Dinge liegen zu lassen, zu zerstören oder zu verlieren, denn bevor ich mich mit Krissi, bei der ich übernachtete, treffen konnte, hatte ich noch einige Stunden Zeit in Tallinn, die ich im Gildenhaus des "Eesti Ajaloo Muuseum" (estnischen Geschichtsmuseum) verbrachte, in der verschiedene Ausstellungen in einem alten Gildensaal der deutschbaltischen Hansagilder der "Schwarzhäupter" über die Geschichte der Esten berichten.
Kurzfassung der Geschichte der Esten:
Wie viel gute Laune ein wenig Sonne doch bringen kann! |
Soweit so gut. Nach dem Museumsbesuch fiel mir leider auf, dass mein Schließfachschlüssel nicht mehr an seinem angestammten Platz in meiner Jackentasche lag, sondern dass sich meine Finger an jener Stelle durch ein Loch schälen mussten. Nachdem ich noch einmal alle Plätze abgegangen war hob ich 50 Euro von meinem Konto ab (die Strafe für den Schlüsselverlust) und ging zum Infopunkt des Autobusbahnhofs.
An dieser Stelle ein großes DANKE an Kaire vom Infopunkt und Oleg vom Sicherheitsdienst, die mich nach einer Unterschrift samt Rucksack aus dem Fach gehen lassen haben. Auch wenn sie es nicht lesen werden: DANKE! AITÄH!
Es folgten jedoch ein paar schöne Tage in Tallinn, an denen ich die Zeit nutzte, auch an mir noch unbekannte Orte zu gehen, so wie etwa in das KUMU-Kunstmuseum (die estnische Nationalkunstgalerie), in das Zarenschloss in Kadriorg (zu deutsch Katharinenthal) oder zum Denkmal der im 19 Jahrhundert untergegangen Fähre Russalka.
Ein sehr angenehmer Höhepunkt war dabei der Kinobesuch im eleganten Kinosaal "Sõprus", einem richtig galanten Saal, wie man ihn sich aus den 50er Jahren vorstellt - ein Kronleuchter baumelt von der Decke und die Wände sind in edlen Farben gestaltet.
In Tallinn findet zurzeit das größte Filmfestival
Nordeuropas, das sogenannte „PÖFF“, statt. PÖFF steht für „Pimedate ööde filmifestival“ oder zu
Deutsch „Filmfestival der dunklen Nächte“. In dessen Rahmen richtet wiederum
das estnische Goetheinstitut Tallinn erneut das Kleinfestival „Uus saksa film“ (Neuer deutscher Film) aus,
in dem ausgewählte deutsche Produktionen gezeigt werden. Krissi und ich wollten
uns also den ersten Film auf dem Programm „Finsterworld“ ansehen. Kurz vor
Beginn der Vorstellung stürmten wir erfüllt von der Angst keine Tickets mehr zu
bekommen in den Saal. „Habt ihr Tickets?“ fragte mich eine elegant aussehende
Frau in einem roten Cocktailkleid. „Nein, wir wollten gerade welche kaufen!“,
sagte ich. Darauf erwiderte sie: „Wisst ihr, heute ist so ein toller Tag. Wir
schenken euch welche!“, drückte mir zwei Scheine in die Hand und verschwand.
Gespannt gingen wir in den Festsaal und fanden uns inmitten von schick
gekleideten Menschen wieder, die alle Weingläser in den Händen hielten. Mit
meiner hellgrünen Regenjacke kam ich mir dezent fehl am Platz vor, aber dennoch
begab ich mich samt Weinglas (kostenlosen Wein lehnt man ja nicht ab) auf
meinen Platz und es folgte die „Eröffnungsgala“ für das deutsche Filmfestival
samt Botschafter, Vorsitzenden des deutschen Goetheinstitutes, sowie dem Cutter
des Filmes. Nach dem doch sehr surrealen Film folgte dann auch noch eine Diskussion.
… und das alles für lau.
Einen weiteren Bericht vom Abend gibt es HIER.
Ein weiterer Höhepunkt war der Besuch im Vorort Nõmme, der erst vor einer nicht allzu großen Zeit überhaupt zu Tallinn angegliedert wurde. Der Stadtteil war eine Planstadt eines Investoren, der Teile seines Landes verschenkte, um einen Ort entstehen zu lassen. Heute befinden sich in Nõmme viele Parks und ein sehr schöner Markt, der es wert ist, besucht zu werden. :)
Einen weiteren Bericht vom Abend gibt es HIER.
Ein weiterer Höhepunkt war der Besuch im Vorort Nõmme, der erst vor einer nicht allzu großen Zeit überhaupt zu Tallinn angegliedert wurde. Der Stadtteil war eine Planstadt eines Investoren, der Teile seines Landes verschenkte, um einen Ort entstehen zu lassen. Heute befinden sich in Nõmme viele Parks und ein sehr schöner Markt, der es wert ist, besucht zu werden. :)
Denkmal an den Gründervater von Nõmme |
Blick in die Markthalle |
Statue des Kalevipoeg, eines estnischen Nationahelden |
Das Warnschild am Übungsgelände |
Am Montag jedoch brach ich zum Busbahnhof auf, nicht etwa um
zurück ins Dorf zu gelangen, sondern ich steuerte auf einen Kleinbus mit dem
Zeichen „Europa Noored“ (Jugend Europas) zu, der mich zu meinem Zwischenseminar
bringen sollte. Der Bus war von der estnischen Freiwilligenagentur angemietet
worden und nahm neben mir noch als Freiwillige drei Spanier, einen Türken und
einen Italiener, sowie die zwei estnischen Trainer Margus und Kristi mit.
Margus kannte ich bereits von meinem ersten Seminar in Estland. Da ich zu
meinem ursprünglichen Zwischenseminar mit Mandelentzündung im Bett lag, kannte
ich keinen von den mich umgebenden Freiwilligen. Alle waren älter als ich und
schon gemeinsam auf dem Erstseminar gewesen. Das störte jedoch nicht und so erwarteten
uns vier schöne Tage mitten in der Waldeinsamkeit von Leppoja. Leppoja ist ein
Ferienhaus mitten in einem Naturschutzgebiet, in etwa 30 Minuten Autofahrt von
der nächsten asphaltierten Straße entfernt. Auf der Hinfahrt durch den Wald
fiel mir nicht nur die andere und doch so ähnliche Aussicht im Vergleich zu „meinem
Wald“ in Maarja Küla auf, sondern auch die Pfosten, die teils neben der Straße
in den Boden gesetzt waren und „militärisches Übungsgelände“ ankündigten. Zu
Sowjetzeiten war das gesamte Gelände Luftwaffenübungsgebiet gewesen, heute ist
der Teil, der dem Militär gehört, wesentlich kleiner.
Schließlich erreichten wir jedoch Leppoja und fanden uns im siebten Himmel vor. Gemütliche Blockhütten mit bequemer Einrichtung und urigen Holzöfen standen uns gegenüber. Bei den Mahlzeiten wurden wir vom Betreiberehepaar regelrecht gemästet. Es gab reichhaltige Mahlzeiten, selbstverständlich immer mit Kuchen oder selbstgemachter Torte zum Nachtisch, und sogar zu den Kaffeepausen reichhaltige Snacks. Jeden Abend wurde die Sauna aufgeheizt.
Schließlich erreichten wir jedoch Leppoja und fanden uns im siebten Himmel vor. Gemütliche Blockhütten mit bequemer Einrichtung und urigen Holzöfen standen uns gegenüber. Bei den Mahlzeiten wurden wir vom Betreiberehepaar regelrecht gemästet. Es gab reichhaltige Mahlzeiten, selbstverständlich immer mit Kuchen oder selbstgemachter Torte zum Nachtisch, und sogar zu den Kaffeepausen reichhaltige Snacks. Jeden Abend wurde die Sauna aufgeheizt.
Eines der Häuser von Leppoja |
Auf dem thematischen Programm standen Probleme und Situationen unserer
Projekte, des Freiwilligendaseins und kulturelle Hürden. Wir führten auch sehr
intensive Gesprächsrunden über andere Themen. So befassten wir uns mit
Kulturschocks, dem Erfahrungsaustausch und vielen weiteren Dingen. Auch
praktisch ging es ans Werk, so wanderten wir mehrmals in einem Wald, in dem
auch Elch, Bär, Wolf und Luchs zu Hause sind (leider konnten wir jedoch
niemanden davon erblicken) – an einem Abend von 5 bis 11 Uhr schafften wir es sogar
an die 23 Kilometer zu laufen. An jenem Abend durchschritten wir im Dunkeln das
Sumpfland der Umgebung, als wir an einer Feuerstelle ein Lagefeuer entfachen
wollten. Beim Heruntertreten in die Senke hieß es alsbald „Dort ist noch Glut!“
und als wir gerade das vorbereitete Feuerholz aus dem Unterstand entnehmen
wollten, fiel das Licht einer Stirnlampe auf ein kleines Zelt.
Der Zeltende
entpuppte sich als Erik, ein junger IT-Unternehmer an Tallinn, der mit drei
Freunden eine App-Firma gegründet hat und gerade nur auf Heimurlaub ist,
nachdem er einen Monat auf Bali verbracht hat, wohin er seine Firma verfrachten
möchte. Natürlich ist diese Waldbegegnung noch nicht beendet, schließlich fand
sie in Estland statt, dem Land in dem jeder mit jedem über 30 Ecken bekannt
oder sogar verwandt ist. Nun stellte sich nämlich heraus, dass dieser junge
Mann, den wir halb neun am Abend in tiefster Dunkelheit mitten im
nordestnischen Wald eines Naturschutzgebietes beim Wandern getroffen haben, ein
Bekannter von Ly Mikheim (der Leiterin von Maarja Küla) ist.
Dies passiert in Estland öfter, denn hier sind alle Menschen vernetzt und irgendwie kennt man sich wie in einem großen Dorf mit eineinhalb Millionen Einwohnern.
Dies passiert in Estland öfter, denn hier sind alle Menschen vernetzt und irgendwie kennt man sich wie in einem großen Dorf mit eineinhalb Millionen Einwohnern.
Außenansicht der Rauchsauna vom Vordach aus. |
Am letzten Abend des Seminars wartete die „Suitsusaun“ (Rauchsauna) auf uns, an
der wir zu fünft teilnahmen. Die Situation ähnelte stark dem Beginn eines
schlechten Witzes: „Ein Türke, ein Spanier, ein Este, ein Deutscher und ein
Italiener sitzen in der Sauna …“
Doch was ist nun eine Rauchsauna? Rauchsaunen sind anders gebaut als normale Saunen. In Rauchsaunen befinden sich Feuerofen und Sitzbänke im gleichen Raum ohne Abzug. Das Feuer wird den Tag über angeheizt, sodass sich die Sauna aufheizt. Dabei zieht der Rauch durch die Sauna selbst, da ja kein Abzug vorhanden ist. Das führt dazu, dass der ganze Innenraum und auch der Außenraum um Tür und Luken herum eingeschwärzt sind.
Doch was ist nun eine Rauchsauna? Rauchsaunen sind anders gebaut als normale Saunen. In Rauchsaunen befinden sich Feuerofen und Sitzbänke im gleichen Raum ohne Abzug. Das Feuer wird den Tag über angeheizt, sodass sich die Sauna aufheizt. Dabei zieht der Rauch durch die Sauna selbst, da ja kein Abzug vorhanden ist. Das führt dazu, dass der ganze Innenraum und auch der Außenraum um Tür und Luken herum eingeschwärzt sind.
Typisch für die Rauchsauna: Saunageister Bekommt man Rußflecken, so heißt es, hat einen der Saunageist berührt |
Direkt vor der Benutzung werden alle
Türen und Luken geöffnet, sodass die Sauna vom Rauch selbst befreit wird, und
die Glut wird aus dem Ofen entnommen. Dann werden Türen und Luken wieder
geschlossen und die Sauna ist zur Benutzung bereit. Rauchsauna ist vor allem
ein Brauch aus Südestland. In Nordestland und Finnland existierte der Brauch
auch, ist jedoch irgendwann in Vergessenheit geraten. Das Sitzen in der Rauchsauna
kam einer Meditation gleich. In der rauchigen Hitze bekommt man schnell ein
leichtes Trunkenheitsgefühl, auch ohne etwas getrunken zu haben. Es gibt
verschiedene Sagen und Mythen über Saunen und insbesondere Rauchsaunen.
Beispielsweise, dass es Glück bringe dreimal Wasser zu werfen (was in der
Rauchsauna schon eine Herausforderung ist, da das Atmen selbstverständlich viel
schwerer fällt als in einer normalen Sauna) und ein Folklorelied zu singen,
wobei man erst aus der Sauna rennen darf, wenn der letzte Ton gesungen ist, was
wir dann auch taten.
Wie in Finnland klopft man sich gerne auch einmal kräftig gegenseitig mit Birkenzweigen ab. Das verleiht ein stärkendes Gefühl und fördert den Blutfluss. |
Nackig rannten wir dann gleich weiter um durch den Regen in
den eiskalten See zu springen. Stufe, Stufe, Platsch. Ein Gefühl von tausend
Nadelstichen, dass so befreiend ist, dass man es nicht beschreiben kann. Dafür
ähnelt man bestimmt optisch auch einem Hund, der ins Wasser geworfen wird, da
man so schnell wie möglich wieder nach dem Land hascht und zurück Richtung
Sauna rennt. Akustisch ähnelten die Schreie bestimmt denen von Schulmädchen.
Eine sehr angenehme Erfahrung von 5 Saunagängen, 5 Rauchsaunagängen und 5 Sprüngen in den See bot der Abend auf jeden Fall.
Ein wenig wehmütig war dann auch wieder der Abschied nach den schönen Seminartagen, aber es bleibt ja die Erinnerung daran. Genossen habe ich auch die paar Tage, die ich (von mir aus) ohne Computer und mit einem Handy im Flugmodus verbracht habe.
Im Anschluss verbrachte ich noch einen schönen Abend in Tallinn, an dem ich mit Krissi und Eva (ihrer Mitbewohnerin, die auch deutsche Freiwillige ist) den deutschen Stammtisch besuchte, der zweimal monatlich im „Schnitzelhaus“ in Tallinn stattfand. Neben einem Schnitzel und Bier gab es auch Geschichten von den Anwesenden, die meistens Lehrer am deutschen Gymnasium in Tallinn sind.
Langsam rennt die Zeit vorbei. Meine 12 Monate offiziellen Dienstes sind bald vorbei, es naht schon das Ende des elften Monats. Die Tagesplanung fällt zwar schwer, ist es doch nun schon um 4 wieder dunkel, aber dennoch bleibt viel zu tun und zu erleben. Zum Beispiel erwarten mich noch die Adventszeit, ein Trip zu den Weihnachtsmärkten in Helsinki, Tartu und Tallinn und wie immer viele Geschichten aus Estland. J
Päikest,
Marcel
Eine sehr angenehme Erfahrung von 5 Saunagängen, 5 Rauchsaunagängen und 5 Sprüngen in den See bot der Abend auf jeden Fall.
Ein wenig wehmütig war dann auch wieder der Abschied nach den schönen Seminartagen, aber es bleibt ja die Erinnerung daran. Genossen habe ich auch die paar Tage, die ich (von mir aus) ohne Computer und mit einem Handy im Flugmodus verbracht habe.
Im Anschluss verbrachte ich noch einen schönen Abend in Tallinn, an dem ich mit Krissi und Eva (ihrer Mitbewohnerin, die auch deutsche Freiwillige ist) den deutschen Stammtisch besuchte, der zweimal monatlich im „Schnitzelhaus“ in Tallinn stattfand. Neben einem Schnitzel und Bier gab es auch Geschichten von den Anwesenden, die meistens Lehrer am deutschen Gymnasium in Tallinn sind.
Langsam rennt die Zeit vorbei. Meine 12 Monate offiziellen Dienstes sind bald vorbei, es naht schon das Ende des elften Monats. Die Tagesplanung fällt zwar schwer, ist es doch nun schon um 4 wieder dunkel, aber dennoch bleibt viel zu tun und zu erleben. Zum Beispiel erwarten mich noch die Adventszeit, ein Trip zu den Weihnachtsmärkten in Helsinki, Tartu und Tallinn und wie immer viele Geschichten aus Estland. J
Päikest,
Marcel