Samstag, 2. November 2013

Stromlos glücklich

Da war er wieder einmal weg.
Hatte ich doch gerade ersteinmal von einem Stromausfall berichtet, so rollte auch schon der Sturm, der Europa in Atem hielt, in Estland ein.
Für uns bedeutete das zunächst einmal nur rauschenden Wind und knickende Ästchen, als wir Montagnacht vom Schülerwohnheim nach Maarja Küla zurückgefahren wurden. Mirjam, Alina und ich hatten den Abend bei den Schülern, die das Schulprojekt von Montag bis Donnerstag besuchen, verbracht, damit die zwei Arbeiter, die dies gewöhnlicherweise tun, am Abend zum ersten Benefiztkonzert von Maarja Küla gehen konnten. Am nächsten Montag steht dann das zweite Konzert, diesmal in Tallinn, an, das wir dann auch besuchen werden.
Der Abend war sehr angenehm und entspannend und es war schön, auch einmal die Schüler kennen zu lernen, die nun ja immerhin jeden Tag für viele Stunden im Dorf sind.
Als wir nach hause gefahren wurden, zeigten sich schon die vielen kleinen Zweigchen, die von den Bäumen geweht wurden. Der Wind rauschte durch den Wald.
Dennoch gingen wir bei Strom, Licht und fließendem Wasser zu Bett.
Als wir jedoch am nächsten Morgen erwachten, war der Strom bereits weg und so ging ich ins estnische Haus zur Arbeit, wo wir das erste Mal seit Langem, wie ich mich zu erinnern vermag, keinen warmen Brei, sondern "nur" Brote hatten. Langsam rollten auch die Informationen herein, dass halb Südestland ohne Strom ausharrte und nur Põlva im Landkreis noch Strom hat - ist es ja auch gleich Ort der vielen Geschäfte, Einrichtungen und des Landkreiskrankenhauses. Alle anderen Orte zwischen Võrtssee und Peipussee, von Elva bis Värska und Räpina mussten auf Strom verzichten. Auch Viljandi und Tartu sollen zwischenzeitlich Probleme mit dem Strom gehabt haben.
Für uns bedeutete das im Klartext: Kein Strom, kein Licht, kein Internet, kein fliessendes Wasser, keine Heizung. Zum Mittagessen bekamen wir Suppe, die für 70 Menschen in einem Imbiss in Põlva bestellt wurde, ebenso wie jede Menge Trinkwasser, dass ebenso für uns aus Põlva geholt wurde. Wasser für die Toilettenspülung gab es derweil aus dem Dorfteich. Als wir am Nachmittag zum Dorfeinkauf fuhren, erfuhren wir per SMS, dass der Strom wohl wieder da war, was jedoch auch nur kurz anhielt. Mit Kerzen, Lampen und Essen, sowie Trinkwasser im Schlepptau ging es dann zurück ins Dorf, wo an allen Ecken und Enden in den Häusern Taschenlampen und Kerzen aufgestellt wurden. Kopflampen ergänzten zudem das Aussehen von vielen, darunter auch mir.
Es ist schon seltsam, eine Bewohnerin mit Kerzen und Kopflampe zu wickeln, sowie im Dunkeln Essen zu bereiten, ist es doch bei uns jetzt schon um 5 dunkel.

Den Abend verbrachten wir dann mit Tee (eine Mitarbeiterin wohnt ein Dorf weiter und besitzt einen Holzofen, mit dem sie uns Teewasser gekocht hat) uns Keksen bei Kerzenschein. Eigentlich ein sehr angenehmer, gesellschaftlicher Abend - anstatt nur vor dem Fernseher zu sitzen. Später saßen wir Freiwilligen dann noch bei Kerzenschein zusammen. Eigentlich angenehm, wenn mal der Strom weg ist.
Am nächsten Tag war der Strom dann jedoch wieder da, wobei man sagen muss, dass ich fließend Wasser und Heizung mehr vermisst habe als den eigentlichen Strom und das Licht.
Einen weiteren Tag später war dann auch wieder alles im Lot. Fast alles.
Gerade waren Mirjam, ich und ein Bewohner im Wald zum Spaziergang, als wir folgendes sahen:




Zunächst gingen wir davon aus, dass jemand Laub verbrennt, was jedoch eigentlich ein sinnloser Gedanke war, denn um uns herum wohnt niemand, der dies hätte tun können. Bei näherem Hinsehen und vor Allem Hinhören (ein lautes *BZZZZZZ*) erkannten wir dann, dass sich von den Stromleitungen, die durch den Walt verlaufen, zwei gelöst hatten und auf den Boden gefallen waren.
Vor lauter Schreck wusste ich gar nicht, was zu tun sei. Mirjam rief im Dorf an, ich rief sofort den Notruf - zitternd und fürchtend, die Frau am anderen Ende nicht zu verstehen. Doch alles lief gut und nachdem ich der Frau zum fünften Mal erklärt hatte, wo wir uns befanden, sprintete ich mit dem Bewohner an der Hand zurück, was diesem so gar nicht gefiel, war er doch eher von gemütlicher Natur. Am Dorfeingang wartete ich dann auf den großen roten Wagen, der dann sehr schnell eintraf.
Mit einem Feuerwehrmann ging ich die Strecke bis zum Ort ab. Der Strom wurde inzwischen von der Stromfirma abgeschaltet. Als dann auch die Elektriker an Ort und Stelle waren, hieß es "aufatmen" und wir zogen uns zurück. Die Leitungen wurden ausgetauscht und wir hatten alle eine Geschichte zum Erzählen. Geht man heute die Strecke an den Stromleitungen ab, kann man die Schneise deutlich sehen, wo die Leitung den Boden berührte: Ein schwarzes Band zieht sich am Boden entlang, gefolgt von abgebrannten Büschlein.
Ein Glück, dass es zuvor geregnet hatte und der Boden naß war.

So vergingen dann wieder ein paar Abenteuer im estnischen Wald, ich hatte mit meinem Estnisch eine wahrhafte "Feuerprobe" (Entschuldigung für das schlechte Wortspiel) und wir konnten alle einmal sehen, wie abhängig wir doch vom Strom sind.

Terved tervitused,
Marcel

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen