Mein Heim: das Vana Maja |
Nach meiner ersten Einführungswoche, die jeden Tag spätestens nach dem Mittagessen mit "So now you can do, what you want!" aufwartete, habe ich diese Woche mit der Arbeit richtig angefangen.
Wer es noch nicht weiß:
Ich arbeite in einem teilautarken "Dorf" - Maarja Küla (küla = Dorf). Vergleichbar ist das Projekt in etwa mit dem Arche-Projekt - nur eben anders.
Zehn Minuten zu Fuß entfernt durch den Wald erreicht man die Bushaltestelle, die einen in Windeseile viermal am Tag nach Tartu (die nächstgrößere richtige STADT mit ca. 100.000 Einwohnern auch die zweitgrößte Stadt in Estland) oder Põlva bringt. Põlva ist die nächstgrößere Gemeinde mit 6.000 bis 12.000 Einwohnern - so sicher waren sich die Esten beim Erklären da auch nicht. Immerhin reicht Põlva's Größe aus, um dem Landstrich Põlvamaa (maa = Land - bspw. Saksamaa = Deutschland/ Venemaa = Russland) seinen Namen zu geben.
Aus dem Dorf heraus in die andere Richtung erreicht man in 2-5 Minuten Fußmarsch einen wunderbaren Fluss, der zunächst optisch wie ein See wirkt. Leider gab es in der letzten Woche ausgerechnet einen Tag mit schlechtem Wetter - wie sollte auch anders sein: genau an dem Tag, an dem ich die Kamera ausgepackt habe.
Für Fotos aus meiner Wunderwelt ist also gesorgt.
Das Sõbra Maja ist vorne rechts. Hinten rechts zu sehen ist das Saksa Maja - das deutsche Haus |
Nach diesem Jahr werde ich dank ihm sicherlich der geduldigste Mensch aller Zeiten sein!
Heute war mein erster von drei Workshop-Tagen in dieser Woche. Workshop-Tag will heißen, dass ich an den Workshops in den Werkstätten teilnehme. Heute hieß das für mich, einen Teller und viele kleine Vögel aus Ton zu formen, die nach dem Brennen zusammen mit den Werken von den Bewohnern in den Hausbedarf oder in den Maarja Küla Pood - den Maarja Küla Shop - wandern. Das Dorf unterhält sowohl in Põlva, als auch im Lõunakeskus (einem Einkaufszentrum) in Tartu einen kleinen Laden, an dem Produkte wie etwa Teppiche und Keramik verkauft werden, die im Dorf produziert werden. Im Laden selbst arbeiten dabei auch Bewohner. Das Projekt unterstützt das Arbeitsprojekt, dass Bewohnern die Möglichkeit geben soll, selbstständig für sie geeignete Arbeitsplätze zu finden, die auf ihre Wünsche und Fähigkeiten angepasst sind.
In diesem Eisloch war auch ich bereits! |
Zu sehen: Die Dorfsauna! |
Estland an sich arbeitet sich so langsam in mein Herz. Gerade im Supermarkt oder auf den Straßen erlebe ich beispielsweise nichtsdestotrotz kleine Kulturschöckchen. So ist es mir derweilen unbegreiflich, warum man Milch in Tüten, anstatt in Flaschen oder Tetrapacks verkauft. Aber ok: andere Länder, andere Milchprodukte.
Apropos Milchprodukt: Solltet ihr einen schwachen Magen haben, so empfehle ich euch die estnische Hausmannskost NICHT zu essen!
Lecker war es bislang fast immer, allerdings habe ich mich noch nicht an die Kalorienfülle, die Kohlenhydrate und den Fettgehalt gewöhnt. Die ersten Tage hatte ich starke Magenprobleme. !Ich brauche hier irgend einen Sport!", denke ich jedes Mal am Esstisch und ärgere mich dabei, dass ich meine Joggingschuhe nicht eingepackt habe. In drei Monaten möchte ich nicht wie Rainer Kalmund aussehen. Bitte nicht.
Die Sprachkenntnisse - nun ja - werden ausgebaut. Arbeitssprache für mich ist Englisch - teilweise rede ich am Tag nur mit mir selbst Deutsch. Mit einer Arbeiterin im Sõbra Maja quetsche ich das notwendigste auf Russisch zusammen - sie spricht kein Englisch und ich kein Estnisch/ Võru (südestnischer Dialekt). Mein Selbstlernerkurs wird derweilen jeden Tag gezückt. Mein offizieller Sprachkurs wird am 5. Februar beginnen und zweimal wöchentlich an der Uni von Tartu in englischer Sprache gehalten - von der Mutter einer Bewohnerin meines Arbeitshauses. Denn die lehrt als Englisch/Estnisch-Professorin an der Universität :-)
Im deutschen Institut von Tartu sollte der Kurs ursprünglich stattfinden, jedoch - wer hätte das gedacht - mangelt es an estnisch-lernwilligen Deutschen in Tartu.
Auf den Beginn des Kurses freue ich mich bereits. Kaum kann ich es erwarten, mich richtig reinklemmen zu können, denn im Moment würde ich nur allzu gern verstehen, was da am Esstisch oder in den Bussen palavert wird. Mein Russisch- und Estnisch-Zeug steht fürs Lernen schon in den Startlöchern.
Oft breche ich in den abstrusesten Situationen in Gelächter aus. Grund ist, dass die estnische Sprache ähnlich der finnischen Sprache alles so schreibt, wie sie es ausspricht. Zwei Vokale bedeuten, dass dieser Vokal lang ist. Zwei Konsonanten bedeuten NICHT (wie im Deutschen), dass der vorherige Vokal kurz, sondern der Konsonant lang ist. Buchstaben wie das X, das Z oder das C trifft man nur in fremden Wörtern.
Aus der Physik wird die Füüsik, aus Möbeln werden Mööbel und aus dem Express der Ekspress.
Das ist zwar nicht ungewöhnlich, sieht für das deutsche Auge jedoch auf den ersten Blick lustig aus.
Gleich verhält es sich mit den langen Vokalen, bei denen ich nicht weiß, wann man mit dem Sprechen aufhören soll. Eine wahre Obsession haben die Esten anscheinend im Buchstaben "Ö" gefunden.
Töö = die Arbeit
Söö = das Essen
Öö = die Nacht
töööö = die Arbeitsnacht/ Nachtschicht
öötöö = die Nachtarbeit
Auch deutsch-klingende Wörter sind keine Seltenheit. Ich erinnere an "mööbel", möchte aber auch "bakpulver", "nelk" und "švamm" (š = sch) erwähnt haben.
Mit diesen Worten zum Mittwoch soll es das erst einmal gewesen sein.
Mehr Stuß aus dem estnischen Wald gibt es sicher in Kürze!
Liebe Grüße,
Marcel
Andächtig den Geschichten der Hausleiterin des Sõbra Maja lauschend, vielen oft die Namen hochrangiger Esten. Darunter auch Sponsoren des Dorfes und wichtiger Politiker, Professoren und Poeten. Man verdeutliche sich: Estland ist etwas kleiner als Niedersachsen und besitzt dabei mit 1,4 Millionen in etwa die Einwohnerzahl vom Großraum Leipzig-Halle. Von hier aus gesehen liegt die russische Grenze (ca. 30 km) näher als Tartu (ca. 50 km)!
Die Esten sind vielleicht nicht viele, aber sie machen sich! :)
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