Samstag, 12. Januar 2013

Это Россия!



Weil ich noch etwas abzuarbeiten habe, gibt es vor dem Berichten aus Estland erst einmal Geschichten vom 4-Städte-Trip Leipzig-Berlin-Helsinki-St. Petersburg.
Leipzig Hauptbahnhof, 27. Dezember 2012 – etwa 9 Uhr
Der Interconnex von Leipzig nach Berlin setzt sich in Bewegung – ich mich folgerichtig ebenso.
Auf Platz 9D im Wagon 5 grinse ich der vom Himmel strahlenden Sonne entgegen.
Es ist auffällig warm an diesem Tag - für Ende Dezember zumindest. 8 Grad Celsius.
Und während sich mein Zug über Sachsen-Anhalt und Brandenburg bewegt, denke ich bereits an meine bevorstehende Reise. Ein Tag Berlin, ein Tag Helsinki, elf Tage St. Petersburg.
Deutschland, Finnland, Russland. Letzteres im Übrigen zwei Länder, die ich vorher noch nie gesehen habe.
In Berlin angekommen versperre ich mein Gepäck im Hauptbahnhof, ziehe den herausnehmbaren Innenteil aus meiner Jacke (13 Grad in Berlin) und breche zum Sightseeing auf. Schnell wird mir klar, dass meine Sightseeingroute, die ich mir so in etwa im Kopf und auf dem Stadtplan zusammengesponnen hatte, nicht ausreicht. Letztendlich bin ich doch anders gefahren und habe mehr gesehen, als ich mir vorher zugetraut hätte.
Mit dem Regierungsviertel begann ich meinen Stadtspaziergang vom Bahnhof am Kanzleramt vorbei zum Reichstag und dem Brandenburger Tor. Das erste Mal in der Hauptstadt (abgesehen von Durchfahrt und Abflug am Flughafen) – mit 18 Jahren als Deutscher eigentlich deutlich zu spät. Schnell finde ich Gefallen an Berlin als Stadt. Ich fühle in etwa Gefühle wie in London – eine tolle Stadt – vielleicht nichts für mich zum dauerhaft leben, aber garantiert für die Erkundung.
Angetan bin ich insbesondere von der U-Bahn ( ich liebe U-Bahnen) und dem Reichstag, größer vorgestellt hätte ich mir jedoch das Brandenburger Tor. Kurz nach eben jenem beschloss ich im Übrigen, meine Tour abzuwandeln. Radikal.
Einfach in die S-Bahn und drauf los fahren.
Hackesche Höfe, Alexanderplatz, Fernsehturm, Potsdamer Platz – und zum zweiten Mal an diesem Tag gerät mein Weg zum Brandenburger Tor, wo das Bärenmaskottchen inzwischen seinen Kopf abgenommen hat, um genüsslich im Touri-Tumult zu rauchen.
Bei meinem Spaziergang durch Parklandschaften in Richtung Sowjet-Denkmal fängt der Regen an. Die Bauarbeiter, die gerade die Straße von der Siegessäule zum Brandenburger Tor für die Silvesterfeier herrichten, fluchen, was das Zeug hält. Als ich am Gendarmenmarkt ankomme, reißt die Wolkendecke kurz auf. Genug Zeit, um über das Sachsenhaus zu lächeln. Schloss Bellevue schaffe ich noch, doch als ich auf dem Weg zum Holocaustmahnmal in etwa bei Eintreffen der Dunkelheit das dritte Mal am Brandenburger Tor bin, breche ich meine Tour ab, da der Regen wieder stark einsetzt. Also auf zum Bahnhof, Gepäck geschnappt und exotische Berliner Küche getestet und Bratwurst verzehrt. Noch schnell ein Paar Postkarten eingesackt und auf geht’s nach Tegel.
Als ich von der Schwester meiner Freundin dort noch einmal ein Paar Mitnamegeschenke kriege, reißt eine kleine Naht an meiner Kraxe. Was soll`s. Wird schon.
Kurz nach 21 Uhr hebe ich ab. Atemberauben. Das nächtliche Lichtermeer von Berlin fasziniert mich – ebenso wie der Service von AirBerlin. Durchaus: Economy Class samt Snack und Gratis-Getränke mag nichts Besonderes sein, aber nach Ryanair-Erfahrungen fühle ich mich wie im fliegenden Marriott.
Über Estland blicke ich aus dem Fenster: Klarer Himmel, doch so gut wie nichts zu sehen. Dunkler Boden. Keine Lichter. Cool… J
Der Landeanflug über Finnland raubt mir wieder den Abend. Die Lichter, die vom Schnee reflektiert werden, sind wieder unglaublich schön. Ebenso die Landung. Weich wie ein Baby-Popo.
Im Flughafen Helsinki-Vantaa einen Platz im Durchgang zwischen den Terminals gesucht, wo andere Schlafende lagen … doch ich wurde vom Finnengott leider nicht mit Schlaf bedacht. Um etwa 4.30 Uhr gebe ich den Versuch auf. Rumlaufen, Tee trinken, Frühstücken. Kurz nach 6 Uhr löse ich ein Ticket und fahre nach Helsinki ab.
Am Rautitieasma (Hauptbahnhof Helsinkis) das gleiche Spiel wie in Berlin:
Gepäck verstaut und ab auf Fotosafari – allerdings um halb acht. Wer hätte es gedacht: Ich bin noch der erste Tourist – und wieder ist meine Tour länger als gedacht.
Doch Helsinki fasziniert mich ebenso. Domkirche, Senatsplatz und russisch-orthodoxe Uspenski-Kathedrale – Helsinki ist seine Reise wert! Wer weiß: vielleicht schaffe ich es von Estland aus ja noch einmal die 80 km über die Ostsee nach Finnland. 
Als am Hafen die Sonne langsam aufgeht und die Marktstände allmählich aufgebaut werden, betrete ich die alte Markthalle, in der an vielen Ständen Rentierschicken, Elchfleisch, Messer, Spirituosen, Backwaren, Felle, Leder und vieles mehr verkauft werden. In der Mitte der rustikalen Halle frühstücke ich ein zweites Mal – eher klein, denn alles ist relativ teuer - wie alles an Nahrungsmitteln, dass ich in Helsinki gesehen habe. Köstlich waren die finnische Blätterteigtasche mit Ei und Käse und der schwarze Kaffee trotzdem. Eine Wirkung scheint letzterer aber nicht zu haben – in der Straßenbahn schlafe ich ein und fahre beinahe bis zur Endstelle. Was soll‘s – ich habe ja ein Tagesticket.
Wieder im Stadtzentrum angekommen, bekomme ich einen Schock, als ich auf die Uhr blicke. Alles ist abgearbeitet, was mir einfiel, und trotzdem zeigt die Uhr erst eins an. Ähnlich in Berlin habe ich auch hier Sehenswürdigkeiten mehrmals gesehen. In etwa die Uspenski-Kathedrale und die Domkirche, die bei meinem ersten Besuch noch geschlossen waren. 
Gegen 15 Uhr schmerzen meine Füße. Ich bestelle im Rautatieasma einen Kaffee und nippe daran, während ich die Bahnhofshalle beobachte. Hektisches Treiben. Züge nach Moskau, Tampere, Turku und Kuopio. Wunderbar anzusehen. Irgendwann greife ich mein Gepäck aus der Lagerung im Keller, erstehe noch ein paar letzte Dinge in Euro und warte noch etwa zwei Stunden auf den Zug. Der Allegro ist pünktlich da. Wir steigen ein. Neben mir ein freier Platz – in meinem Abteil nur Russen.
Wir setzen uns in Bewegung. Mit 220 km/h rauschen wir von Helsinki nach St. Petersburg. Mir wird flau im Magen – nicht wegen der Geschwindigkeit, sondern aus Vorfreude.
Nach etwa zwei Stunden gelangen wir zur Grenze. Finnische Passkontrolle, finnischer Zoll, Russische Passkontrolle, Russischer Zoll. Alles geht glatt mit meinem Pass, meinem Visum und meiner Migrationskarte. Ich bestelle einen Kaffee auf Russisch. Meine erste Bestellung auf Russisch. Innerlich kichere ich. Der Grenzstreifen erinnert mich ein wenig an Filme über die deutsch-deutsche Teilung. Nur noch Vyborg und um ca. 23. 30 russischer Zeit – nach drei Stunden Fahrt – erreichen wir St. Petersburg. Große Begrüßungszeremonie am
Финляндский вокзал.
Wir laufen zur Wohnung meiner Freundin und beginnen die Weihnachtsbescherung – etwas mehr als  ein Drittel meiner Kraxe ist mit Geschenken von Familie, Freunden und mir gefüllt.
Die Zeit in St. Petersburg war eine wunderbare Zeit. Diese Stadt ist unvergleichbar mit anderen Städten, die ich bislang sehen durfte. Russland gefiel mir sehr gut und ich habe beschlossen, aus Estland heraus noch einmal auf einen Besuch vorbei zu kommen.
Weil ich in erster Linie nicht aus touristischen Zwecken hier war, war mein Programm eher das gewöhnliche Touriprogramm einer Kurzreise.
Sightseeing mit Peter-und-Paul-Festung, Auferstehungskirche, Stadtspaziergang den Nevskiy Prospekt entlang und viele Sinnlosaktionen.

Ich fasse Russland zusammen:

Ein Knochen im Briefkasten – Das ist Russland!
Ein Waschbecken auf dem Schrank – Das ist Russland!
Wodkageruch in der prunkvollen Metro – Das ist Russland!
Herabstürzende Gardinenstangen, die mich erschlagen – Das ist Russland!
Schmerzen kühlen mit Pizza – Das ist Russland!
Leckende Abflüsse nachts um zwei – Das ist Russland!
Wunderbare Feiern in der Chaos-WG – Das ist Russland!
Wasser ohne Idealtemperatur – Das ist Russland!
Knarrende Wasserhähne – Das ist Russland!
Coole Obstverkäuferinnen – Das ist Russland!
Schweine im Kuchen – Das ist Russland!
Blinklichter und stilllose Pelze – Das ist Russland!
Böse guckende Menschen – Das ist Russland!

Werft die Gläser an die Wand! Russland ist ein schönes Land! Hahahahaha!
Jedem, der noch nie im tieferen Osteuropa war, sei gesagt, dass es sich lohnt. Land und Leute, sowie Essen (Blinis, Kascha, Pischkis oder Pelmeni sind der Hit!), Sehenswürdigkeiten, Lebensweise und besonders St. Petersburg sind genial – insbesondere mit den richtigen Leuten!
Vergesst Mallorca! Vergesst New York! Vergesst Paris, Hurghada und Ibiza!
Bucht zum Beispiel mal Russland oder Finnland!
Es lohnt sich!

Und weil ich noch soooo viel sagen könnte, aber Bilder bekanntlich mehr sagen als Worte – hier nochmal ein paar Ausschnitte!

Einmal bitte HIER klicken!

Stürzende Stangen -
kühlende Pizzen
Dinge, an die man sich erst einmal gewöhnen muss, gibt es viele – in allen drei Destinationen.
Die grandiose Sicht aus der Berliner S-Bahn bei Sonnenschein zum Beispiel, aber auch das Schlafen an Flughäfen, nachts um drei (als man dann doch mal weggenickt ist) von finnischen Grenzern geweckt zu werden, die Preise in Helsinki, die Menschenmassen in der Millionenstadt St. Petersburg, das Einkaufen in russischen Supermärkten, russische Weihnachtsdekorationen, die finnische Sprache, schreckliche Umschriften auf Kyrillisch, das Erschlagenwerden von Gardinenstangen, Probleme auf russische Art (nicht schön soll es sein - es soll funktionieren!), die Distanziertheit bei der ersten Begegnung mit Russen, die fälschlicherweise wie Unhöflichkeit interpretiert werden kann, das Reden und Bestellen auf Russisch.
Die Reise war mega. Wie sehr, dass kann man durch Erzählungen gar nicht glauben. Erlebt es einfach und kommt nach Osteuropa – es ist definitiv eine Reise wert!


Eine schöne Zeit euch!
Liebe Grüße,
Marcel

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