Montag, 20. Mai 2013

Das große Krabbeln


Auch diese Woche ist wieder viel passiert.
Wir haben im Dorf die Eurovisions-Vorentscheide gesehen, das neue Trampolin ausprobiert, mein A2-Sprachkurs ist beendet worden, ich habe meine perfekte Autofahrmusik fast totgehört, war beim Zahnarzt und im Visazentrum und im Reisebüro (weil es Probleme im vorherigen Zentrum gab) und hab ALLES (!) allein auf Estnisch gemeistert.
Mein Wochenende jetzt habe ich wunderbarst verbracht. Bettina kam Freitagnacht an und gemeinsam waren wir mit Anna am Samstag auf der Frühlingsmesse in Vastse-Kuuste, der nächsten Gemeinde, zu der auch Maarja Küla gehört, und haben dort sinnvolle und sinnlose Stände begutachtet. Ich habe mir ein Paar "Dorfschuhe" erstanden, also schnürsenkellose Schuhe in die ich schnell rein und wieder rausschlüpfen kann, sowie zwei Pflänzchen. Das Pflanzenziehen und die Gartenarbeit in unserem überdimensionalen Garten macht mir nämlich so viel Spaß, dass ich mehr Pflanzen ziehe, als auf mein Fensterbrett passen, weswegen ich auf Annas und Elisabeths Zimmer ausweichen musste.
Außerdem haben wir eine Tenorgruppe und estnischen Linedance (An meine Mutter: Ich hab ein Video gemacht!) gesehen und später sind wir auch auf meine Maarja-Küla-Crew getroffen, denn selbstverständlich sind Bewohner und Arbeiter auch reichlich gekommen.
Später zurück im Dorf ging es für uns aufs Trampolin und für Anna und Bettina in den Fluss (ich hatte keine Lust).
Am Abend stand Eurovisionsschauen an. Zwar hat es Estland auch nicht weit gebracht, aber es war zusammen mit Küüslauguleib (gebratenes Brot mit Knoblauch und einer Sahnesoße) und dem estnischen Kommentator sehr unterhaltsam. Hier ein paar Ausschnitte aus dem amüsanten, zynischen und sarkastischen Kommentar des estnischen Moderators während der Punktevergabe:
"Also wenn wir jetzt noch einen Punkt bekommen, sind wir immerhin Top 20!" (von 26)
"Litauen vergibt als letztes Punkte ... es bleibt also spannend für Estland! *sarkastisches Lachen*"
"Ach ... Lettland ist dran. Einen Punkt wird es doch da mindestens geben."
"Vielleicht kriegen wir ja einen Punkt von Finnland"
"Zwar kein Sieg, aber immerhin sind wir besser als Finnland UND Litauen!"
Am Sonntag gingen Bettina und ich noch etwas nach Taevaskoja spazieren, wo wir Opfer einer Ameisen- und Mückenattacke wurden.
Ameisen asphaltieren beinahe einige Waldstraßen und Mücken bilden auch schon im Dorf einen Teppich, der mitten durch die Luft schwebt. Den ganzen Tag über wird gekratzt, in die Luft geschlagen und über die Mücken geflucht. Von Bewohnern wie Arbeitern.
Das große Krabbeln beginnt. Ich wurde bereits gewarnt, aber sooo habe ich es mir nicht vorgestellt.
Vielleicht auch, weil ich schon aus einer Stadt komme, die größer als Tallinn ist.
Die Mücken sind kleiner als in Deutschland, dafür aber überall und verdammt schnell. Meine Beine und mein Nacken sehen wir Landkarten aus. Es gibt keinen Bereich, wo ich keine Stiche habe.
Irgendwann versagen sogar Mückennetze und Moskitosprays.
Besonders bei der Gartenarbeit merkt man, dass man nicht in einem Kleingartenverein, sondern mitten im Wald gärtnert. Man sieht Mäuse, Kröten und viele Insekten, die man noch nie gesehen hat. Es gibt kein Haus, an dem man keine Ameise findet und überall fliegen Mücken durch die Luft.
Spinnen en mass.
Die Landschaft entlohnt dafür. Es ist wahnsinnig schön, wenn man morgen in der Sonne aufwacht, die einigen hier auch schon Sonnenbrand versetzt hat (vor nicht mal zwei Monaten hatten wir -20 Grad, nun 30 Grad!!!!). Den Tag über scheint die Sonne, die Bewohner fahren Fahrrad, es wird gearbeitet in den Werkstätten, den Häusern und im Garten. Man kann die Wäsche hinter dem Haus direkt im Wald aufhängen - auf von Baum zu Baum gespannten Leinen. Man kann sich seinen Kaffee ins Gehölz mitnehmen und auf dem auf Stegen ausgebauten Rollstuhlweg spazieren gehen. Am Abend kann man bei einsetzendem Gewitter alle schnell die Wäsche holen sehen. Das Gefühl, doch wirkich EIN Dorf in Gemeinschaft zu sein, ist stärker denn je. Nur die Insekten - die nerven.
Noch wird mir aber gesagt, dass nicht alles im Laufen ist. Wenn erst die Bremsen kommen ....
Daran will ich lieber nicht denken. Wohl aber vielleicht an morgen, wenn ich nach Tallinn fahre, um mich mit Asadee von meinem deutschen Seminar zu treffen, oder an nächstes Wochenende, wenn Bettina wieder kommt.
Es bleibt spannend in Estland.

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