Montag, 25. Februar 2013

Wenn ein Russe fällt ...

... dann macht er so viele Nationen glücklich. Das habe ich Samstagnacht erleben dürfen. In einer kleinen Gasse in Narva entdecken wir - eine Gruppe aus ein paar Esten, Katja (aus Bulgarien), Miki (aus Ungarn), Gianluca (aus Italien) und mir - viele Rubelstücke auf dem Boden - und freuen uns wie Kinder beim Ostereiersuchen.
Wir stellen uns ein Bild von einem fallenden, betrunkenen Russen vor - und zählen die kleinen Stückchen des ausländischen Geldes. Freude macht sich breit.

Mein Wochenende an der russisch-estnischen Grenze begann mit zunächst im Dorf mit einem nicht gerade arbeitsintensiven Tag. Im Rootsi Maja bin ich mit zwei Bewohnerinnen allein und habe also nur für drei Personen zu kochen. Die restliche Zeit schaue ich "Goodbye Lenin" auf meinem Laptop.
Gegen 15 Uhr gab es dann Wachablösung und Krista übernahm das Haus - ich und mein Schlafsack hingegen taumelten durch den Wald zur Bushaltestelle, um nach Tartu zu kommen.
Sozialistischer Charme in Narva -
der Wassertank sieht etwas aus, als hätte der
Wohnblock einen Irokesenschnitt
Nach einem Friseurbesuch dort zog ich wieder in Richtung "Tartu Bussijaam" (Tartu Busbahnhof) um in den Schnellbus nach Narva zu steigen. Fein säuberlich hatte ich mir den vorher extra übersetzten Satz zurechtgelegt, den ich den Busfahrer fragen wollte.

Kas buss peatub Narvas ka 'lilla pank' peatuses? - Hält der Bus in Narva auch an der Haltestelle "lila Bank"?

Fragende Augen vom Busfahrer - tausende Fragen strömen mir durch den Kopf: "Ist der Satz falsch?", "Habe ich es falsch betont?"
Dann stottert der Busfahrer hervor: "Говори по-русски!" (Sag es auf Russisch! - offensichtlich denkend, dass ich Russe bin). Na toll. Da hatte ich mir den Satz extra übersetzt, um mit Estnisch auftrumpfen zu können - und dann ist der Busfahrer Russe.

Naja. Die Frage wurde dann doch beantwortet und zweieinhalb Stunden Busfahrt mit Gratis-Wifi später gelangte ich nach Narva, wo ich von Katja aus Bulgarien (Volunteer in Narva) und Gianluca aus Italien und Miki aus Ungarn (Volunteers in Tallinn) frenetisch begrüßt wurde. Wir kennen uns alle vom On-Arrival in Haapsalu.
Nach einem ersten Kohuke und dem Abwurf meiner Sachen in Katjas Apartment ging es zur Russenparty in einen anderen Teil von Narva. Die Strecke legten wir - wie später noch öfter - mit einem Taxi zurück, denn jede Strecke kostet nur 2 Euro.

Klischees sind witzig, weil sie stimmen. So sagt es zumindest Eckart von Hirschhausen.
... doch dies durfte ich tatsächlich erleben. In der Wohnung eines polnischen Ex-EVSlers angekommen, stellten wir schnell fest, dass am Spruch "Russen trinken Wodka wie Wasser!" tatsächlich etwas dran ist.
Nichtsdestotrotz überlebte meine Leber den Abend - und jauchzte später noch bei einem Kaffee in Katjas Wohnung auf.

Unspektakulärer als gedacht - die Grenze
Samstag morgen ging es nach einem herzhaften Blini-Frühstück los zur Grenze. Durch sowjetisch-anmutende Wohnungssiedlungen hindurch erreichten wir den Grenzpunkt.
Normalerweise klingt das Wort "Grenze" immer so dramatisch. Fahnen, Grenzer und Stacheldraht. Gerade am Eingang Russlands in die EU. Doch dem war nicht so. An einer Bushaltestelle fanden sich ein paar Tore, eine Hütte und ein bisschen Zaun - das war's.
Die Burg zu Narva (links) und die Burg zu Ivangorod (hinten) - letztere bereits auf russischer Seite der Narva.

Viel dramatischer dagegen der wunderschöne Anblick der beiden Burgen an den Seiten der Narva (gemeint ist der gleichnamige Fluss). Der estnischen Burg in Narva und der russischen Burg in Ivangorod - hinter denen sich die verbindende Brücke über den Fluss schlängelt - liegt ein gewisser Zauber inne, den ich gerne einmal im Sommer sehen würde.
Das Tal zu überblicken mit den beiden Herrschaftssitzen aus dem Mittelalter erfüllt das Auge.

Im Anschluss wurden wir noch Teil einer russischsprachigen, kostenfreien Aufführung eines Ritterturniers in einer Halle in der estnischen Burg.
Ab und zu drang auch etwas Estnisch an mein Ohr. Man halte sich vor Augen: Optimistisch geschätzt leben in Narva evt. 5% Esten. Straßen- und Geschäftsschilder erstrahlen zwar in Estnisch - geredet wird hier jedoch fast nur auf Russisch.
Das Turnier jedoch war unterhaltsam - Miki und Gianluca wetteten auf die Teilnehmer. Der Kampfstil war dramatisch und beinahe ungestellt - erinnerte mich jedoch sofort mehr an Frauen im Winterschlussverkauf oder an Wrestling als an Mittelalterkämpfe. Doch naja. Dem Volk gefällts :)


Gianluca, Miki, ich und die nette russische Dame
Hinter der Kamera: Katja
 Ein paar hundert Meter von der Burg entfernt, erblickten wir einen Schneemann, den wir sogleich für eine Tradition nutzen. Am ersten Abend unseres On-Arrival-Trainings war unsere Aufgabe, in Teams verschiedene Sehenswürdigkeiten abzugehen. Punkte gab es, wenn wir Fotos machten. Noch mehr Punkte, wenn wir einen Schneemann auf dem Bild hatten. Am meisten Punkte, wenn dazu noch ein Einheimischer zu sehen war.
Nach ein paar Überzeugungsversuchen, konnten wir dann doch eine ältere Russin zu einem Foto überreden - und siehe da: Der Charme dieser Übung ist immernoch da!
Ausnahmsweise mal eine Umarmung für Lenin
Nach etwas mehr Stadttour verbrachten wir den Abend mit vier Esten im Deutschen Pub.
Ich saß mit vier Esten, einer Bulgarin, einem Italiener und einem Ungaren in einem russisch dominierten Teil von Estland in einem deutschen Pub und wurde von Russisch-Esten bedient. Das klingt wie der Beginn eines schlechten Witzes. War aber cool.
Als dann der offensichtlich betrunkene Russe "Vlad" aus Tallinn vom Nachbartisch meinte, seinen Reichtum zur Schau zu stellen, war der Abend abgerundet. Dies bedeutete für uns: eine große Flasche Whiskey und eine Flasche Champagner (Wert schätzungsweise zusammen 60 €) wanderten auf unseren Tisch - und auf seine Rechnung. Warum nicht!?

Am nächsten Tag, der mit ein paar "Armen Ritten" begann, war das Wochenende dann auch leider schon am Ende. Katja und ich brachten Gianluca und Miki gegen 13 Uhr zum Busbahnhof, aßen dann etwas in einem türkischen Cafe und gegen 15 Uhr tauchte auch mein Bus auf.

Mein Rückweg war auch schön, denn dieser Bus fuhr eine andere Route als hinzu - nämlich durch das am Ufer des Peipus-Sees gelegene Mustvee. Das Ufer ähnelte der Ostsee sehr. Zusätzlich erblickte ich in jedem noch so kleinen Ort Flaggen und Fähnchen, denn dieser Sonntag war zudem auch noch der Tag der (ersten) Unabhängigkeits Estlands.
In Tartu angekommen, erschlug mich das dortige Fahnenmeer fast. Nach einem Kaffee und zwei Bier mit James stieg ich dann auch endlich in den Dorfbus und war wieder daheim.


Ein sehr schönes Wochenende. Neue Leute kennengelernt, alte Bekannte wiedergetroffen, Kulturschocks mit Russen erlebt, viel über Politik, Kultur, usw. gesprochen und etwas Russisch geübt.
Bereits jetzt freue ich mich auf ein Wiedersehen.
Vielen Dank an alle!

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