Dienstag, 25. Februar 2014

Lahemaa - Land der Buchten/ Cooles Land

Östlich von Tallinn, an der Küste der Ostsee, befindet sich Estlands ältester und größter Nationalpark. 50 Prozent Estlands werden von Wald und etwa 30 % von Sümpfen und Mooren bedeckt. 10 % sind Seen. In Lahemaa trifft man davon alles an. Doch der Nationalpark bei Tallinn bietet auch noch viele alte Herrenhäuser und Villen von deutschbaltischen Adligen, kleine Fischerdörfer, ein Kapitänsdorf, lange Strände mit riesigen Findlingen, die in der Eiszeit von Finnland herabtransportiert wurden.



Der Name des Nationalparks lautet Lahemaa. Die beiden Bestandteile "laht" (Bucht) und "maa" (Land) geben dem Park den Namen "Land der Buchten".
Gleichzeitig bedeutet die Form "lahe" auch so etwas wie "cool".
Daraus ergibt sich im Estnischen ein unglaublich treffendes Wortspiel.

Am Sonntag brach ich früh mit einem Morgenbus auf, um Punkt 10 Uhr an der Tallinner Touristeninformation zu sein, von wo mich ein gemieteter Minibus samt Guide in den Nationalpark brachte. Die Tagestouren lassen sich über die Tallinner Touristeninfo buchen und beinhalten einen ganzen Tag im Nationalpark an verschiedenen Stellen. In meiner Gruppe waren außerdem noch ein australisches Pärchen aus Brisbane, eine Frau mittleren Alters aus Tel-Aviv und eine ältere deutsche Dame. Unsere Fahrerin und Fremdenführerin Reelika führte uns in der englischen Tour zunächst zum Wasserfall Jägala. Der ganze Tag wurde begleitet durch viele interessante Informationen über Estland, wie etwa die Geschichte voller Besatzungen, die Zeit der Deutschbalten, die Sowjetzeit, die Natur und Kultur und vieles mehr. Auf der ersten Strecke erzählte Reelika etwas von sich und man kann wohl sagen, dass sie einen sehr estnischen Werdegang hatte. Reelika studierte Kommunikation und zog eben erst zurück aus Hannover, wo sie ihren Master studierte und danach noch ein paar Jahre wohnte. Im Alter von nur 26 spricht sie neben Englisch und Deutsch auch noch fließend Spanisch und Italienisch und - wie sie selbst sagt - einigermaßen Russisch. Zudem hat sie eine Zeit lang in den USA gelebt und ist durch Südamerika und den nahen Osten getourt. Ihr Weg zurück nach Estland hat seine Quelle im momentanen Boom gefunden. In Estland ist momentan die "Revolution der Jungen Leute" angebrochen, wie die Zeitungen gerne titeln. StartUp-Firmen sprießen aus dem Boden und jede Menge Geld wird in Internetfirmen umgesetzt. Die Esten spüren den Aufbruchgeist und haben seit der Wiederunabhängigkeit einen unvergleichlichen Aufstieg erlebt. Der momentane Zeitgeist wird bestimmt durch den Drang, sich zu verwirklichen, Estland weiter aufzubauen und etwas zu verändern.





Unsere Tour führte uns durch viele schöne Naturgebiete und bot viele grandiose Aussichten. So begannen wir etwa mit dem Jägala-Wasserfall, der vergleichsweise groß ist, und endeten mit dem Viru Moor, einem der bekanntesten und besterhaltesten Moorgebiete des Landes, in dem sogar Musikvideos der estnischen Aufsteigerband "Ewert and the two dragons" gedreht wurden.
Mittendrin hielten wir auch in den Dörfern Võsu, Palmse und Sagadi, in denen sich alte Herrenhäuser deutschbaltischer Adligen befanden. Dazu passend erzählte uns Reelika etwas über die 700 Jahre gemeinsamer Geschichte von Esten und Deutschbalten. Über Jahrhunderte hat in Estland eine deutsche, adlige, gebildete Elite gewohnt, die zunächst die Esten (wie auch im Süden die Letten) als Leibeigene unterhielt, die auf den Feldern und in den Werkstätten arbeiteten. Erst im 19 Jahrhundert wurde die Leibeigenschaft in den baltischen Staaten aufgehoben. Zeitgleich trieben die deutschen Lutheraner die Kultivierung der Bevölkerung voran und waren die ersten, die die estnische Sprache erfassten und Texte auf Estnisch veröffentlichten. Nach dem zweiten Weltkrieg zogen die Deutschbalten, die selbst allesamt nie deutschen Boden betreten hatten, zurück in das Gebiet Deutschlands. Heutzutage wird gesehen, dass insbesondere die Deutschbalten, aber auch die Schweden den Esten mehr Positives beschert haben, während das russische Zarenreich und die Sovietunion eher als Unheilvoll gesehen werden.



In Käsmu erwartete uns ein Kapitänsdorf mit Cremefarbenen Häusern. Dort heißt es, dass jeder, der in einem solchfarbigen Haus wohnt, mindestens einen Kapitän in der Familiengeschichte vorweisen kann. In Käsmu befindet sich eine Kapitänsschule, die in ihrer etwa 100 Jährigen Geschichte etwa 1600 Kapitäne ausgebildet hat. Dort lassen sich in einem Museum auch antike Reliquien von der Seefahrt bestaunen.





Von Käsmu wurde vor etwas mehr als hundert Jahren regelmäßig illegal Wodka nach Finnland verladen - sprich: geschmuggelt. Dort herrschte zu dieser Zeit nämlich die Prohibition.
Im Haus erhielten wir ein grandioses, typisch estnisches Mittagessen:
selbstgeräucherter Lachs, Kartoffeln, Quarkcreme, Brot, Kirschkuchen, einen selbstgekochten "Morss" (eine Art Beerensaft), Kaffee und Tee. Das ganze wurde durch das Ambiente einer kleinen verträumten Landküche mit Kräutern an der Decke, einem brennenden Kaminfeuer in der Ecke und der Ostsee auf der anderen Seite des Fensters abgerundet. Danach verbrachten wir noch etwas Zeit am Strand in Käsmu, als gerade die Sonne aufzog. So bestieg ich einen alten sowjetischen Wachturm, kroch um Findlinge herum und danach wurde uns ein kleiner zweistöckiger hölzerner Leuchturm gezeigt.


Etwas schade war es dann schon, aus Käsmu wieder aufzubrechen, aber das nächste Ziel war mindestens genauso spannend.




Wir begaben uns eine Halbinsel herauf nach Hara, wo wir in den Wald abbogen und einige Minuten auf einem verschlammten Feldweg fuhren - vorbei an zerstörten Häusern mit russischen Aufschriften. An der Küste angekommen bot sich ein einzigartiger Anblick: lange, massive Betonplattformen ragten aus dem Meer.
Hara war zu Sowjetzeiten ein abgesperrtes Gebiet, da sich dort eine von zwei in Estland stationierten U-Boot-Basen befand. In Hara befand sich zwar nicht das Atomschiff-Bataljon (dieses befand sich in Paldiski), dafür aber eine große Entschirmungs-Anlage, die U-Boote der UdSSR entmagnetisieren und für Radare unsichtbar machen sollte - für den sehr "wahrscheinlichen" Fall eines Angriffes von Finnland und Schweden. Offensichtlicher war, dass Schweden und Finnland von Hara aus unter sowjetischer Spionage standen. Dies flog in den 1980er Jahren auf, als ein sowjetisches U-Boot vor Schweden auf Grund lief. Die Anlage wurde von 1960 bis ca. 1985 betrieben und später von der UdSSR noch versucht zu sprengen, bevor die rote Armee abzog.








So strichen wir etwas durch die Anlagen, hüpften von Plattform zu Plattform und bekamen einige Sowjetanekdoten zu hören. Teilweise befand sich sogar noch ein alter russischer Metallschrank oder ein russisches Schild in der Anlage.





Zum Schluss gingen wir im Viru Sumpf etwas wandern. "Viru" ist ein viel zu hörendes Wort, das vom altestnischen Wort für Estland selbst kommt. Im Finnischen heißt Estland sogar noch "Viron". Viele Dinge in Estland tragen noch diesen Namen, wie etwa die Landkreise Ost- und West Virumaa, ein Talliner Stadtteil und Firmen wie "Viru Vodka". Der Sumpf ist sehr groß, daher sind wir nur ein paar Kilometer über die Bretterwege gelaufen, die an zugefrorenen Teichen und nur etwa einen Meter hohen Bäumen vorbei lief. Diese Bäume wachsen kaum höher, da in den Mooren der Sauerstoff fehlt. Trotz der geringen Höhe können daher 40 cm hohe Bäume bis zu 200 Jahre alt sein.
"Ewert and the two dragons", eine aufsteigende estnische Band mit internationalem Erfolg, nutze dieses Moor auch bereits für das Musikvideo von "Good Man Down".






Die Tour hat sich sehr gelohnt und ich könnte mir gut vorstellen, sie in einem Sommer nochmal zu buchen. Jedem, der sich einmal in Tallinn aufhält, sind die Touren der jungen Firma "Tallinn Traveller" dringend zu empfehlen :)

Head aega,
Marcel

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